Samstag, 24. Januar 2009
 
Bolivien: Rassistischer Separatismus PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Almut Schilling-Vacaflor   
Freitag, 12. September 2008

In Bolivien eskaliert der Konflikt zwischen der Regierung von Präsident Evo Morales und separatistischen Gouverneuren der reichen Tieflandregionen. Der US-Botschafter wurde von Morales beschuldigt, in die Verschwörung verwickelt zu sein und am 10. September zur persona non grata erklärt. Aber die Spaltung der Bevölkerung äußert sich auch in rassistischen Übergriffen.


Die aktuellen Ereignisse in Bolivien sind eine Fortsetzung von Tendenzen, die sich bereits seit Monaten mit großer Vehemenz abzeichneten. Die öffentlichen und medialen Diskurse in den bolivianischen Städten sind schon seit längerem von haßerfüllten, rassistischen, polarisierenden und zur Gewalt aufrufendem Charakter. Diese Tendenz spiegelt sich auch im Denken und Fühlen vieler Menschen wider, deren Aussagen einem oft kalten Schauer über den Rücken jagen. Dinge wie: „Man hätte diese Indios alle umbringen sollen, dann wäre jetzt alles leichter“ oder „Wir müssen uns bewaffnen und unsere Städte gegen die Wilden vom Land verteidigen, sonst nehmen sie uns alles weg“, werden tagtäglich, ohne auf Widerspruch zu stossen, geäußert und damit zu allgemeinen Überzeugungen. Der bis zur Regierung von Evo Morales allgegenwärtige und strukturelle, fast unsichtbar scheinende und „normale“ Rassismus kommt nun immer stärker zum Ausdruck, ist explizit und aggressiv. Die angeblich so gesetzestreue, fortschrittliche und „zivilisierte“, darüber hinaus meist relativ weiße, Mittel- und Oberschicht zeigt nun andere Seiten. Ihre Brutalität, ihre Menschenverachtung, ihre primitiven Ansichten und inkohärenten Diskurse sind teilweise so unglaublich, dass man sich manchmal wünscht, dass sie sich selbst ansehen und aufwachen würden. Manchmal kann man nur fassungslos den Kopf schütteln; zum Beispiel wenn aufgebrachte Horden aus der Oberschicht mit Schlagstöcken bewaffnet auf am Boden liegende indigene Frauen und alte Menschen enthusiastisch einprügeln und dabei sagen, sie wären die Verteidiger der Gesetze und der Ordnung.

Andersdenkende und KritikerInnen dieser gewaltträchtigen Tendenzen wurden verfolgt, gejagt, gedemütigt, verprügelt, ihre Besitztümer zerstört. In den Städten des Tieflandes, aber auch in Sucre konnte man in den letzten Monaten kaum offen seine Meinung kundtun; die Kommunikationsmedien sind von mächtigen und konservativen Gruppen beherrscht und dulden keine kritischen Stimmen. Auch nicht gegen die rassistischen Übergriffe und die gehäuften Menschenrechtsverletzungen. Diese werden von den Medien geduldet, verteidigt, verzerrt dargestellt und darüber hinaus wird dazu angestiftet. KritikerInnen werden als RegierungsanhängerInnen „beschimpft“ und somit als parteiisch abgestempelt und stumm geschaltet.

Die gewalttätigen Übergriffe organisierter Schlägertrupps und der „Verteidiger der Departamentos und ihrer Autonomien“ sind eine Fortsetzung und eine Eskalation von Tendenzen, die sich bereits seit vielen Monaten und seit einigen Jahren abzeichneten. In Santa Cruz wurden im September 2008 staatliche Einrichtungen angegriffen und zerstört, darunter das Agrarinstitut (ein Angriff auf die vorgesehenen Landumverteilungen?) und die Polizeibehörden (ein Angriff auf die Regierung des Hochlandes, der „indios de mierda“?). Staatliche und alternative Kommunikationsmedien in den Tiefland-Departamentos wurden ebenfalls zerstört. Die reichen Eliten versuchen so, ihr Meinungs- und Wissensmonopol zu verteidigen. Andersdenkende und kritische Stimmen sollen verstärkt ausgeschaltet werden, um die eigene Ideologie unter der Bevölkerung zu verbreiten. Die Büros von Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen wurden niedergebrannt, mit Bomben beworfen und ausgeraubt. Darunter das national und international renommierte Institut für juridische und soziale Studien CEJIS, das in den letzten Jahren bereits 15 Mal zum Opfer von Angriffen in Santa Cruz wurde. Dessen Publikationen und Veranstaltungen zu juridischen Themenbereichen, insbesondere zu indigenen Rechten, waren der Tiefland-Elite schon lange ein Dorn im Auge. Darüber hinaus wird versucht, in die Gebiete vorzudringen, in denen sich die so genannten Collas (die meist indigenen internen MigrantInnen aus dem Hochland) angesiedelt haben, um ihnen sowie deren Einrichtungen Schaden zuzufügen. Die Einwanderer aus dem Hochland stellen für die Eliten aus dem Tiefland das Feindbild schlechthin dar, sie werden - ähnlich wie bei den rechts-konservativen Diskursen in der Europäischen Union und in Österreich über die Zuwanderer – metaphorisch als „Überschwemmung“ bezeichnet und die „Überfremdung“ wird befürchtet.

Auf der anderen Seite häufen sich die Stimmen jener, die dazu aufrufen, bei den Vandalenakten nicht länger zuzuschauen und durchzugreifen. Gruppen von internen MigrantInnen, ländliche Gewerkschaften und andere Zusammenschlüsse diskutieren derzeit über mögliche Widerstandsformen gegen die Angriffe und trafen teilweise den Beschluss, selbst aktiv zu werden. So wurde von MigrantInnen aus dem Hochland bereits angekündigt, dass diese eigenhändig illegale Großgrundbesitze enteignen wollen, da die Regierung diese bisher weitgehend unangetastet ließ. Im Pando haben sich ländliche Organisationen getroffen, um das weitere Vorgehen in Bezug auf die kürzlichen Angriffe zu besprechen und koordinieren. Dabei kam es am 11. September zu Konfrontationen zwischen VertreterInnen der Präfekturen bzw. der urbanen „Zivilkomitees“ und den der MAS nahestehenden sozialen Organisationen. Mindestens acht Menschen kamen dabei ums Leben und es gab mehrer Dutzende Verletzte, vor allem auf der Seite der ländlich-indigenen Organisationen. Über den genauen Ablauf der bewaffneten Auseinandersetzungen gibt es unterschiedliche Versionen.

Die Regierung unter Evo Morales blieb bisher gegenüber den gewalttätigen Angriffen und den Gesetzesverletzungen durchwegs passiv und hielt sich tendenziell aus den Konflikten heraus. Dadurch verabsäumte sie es allerdings auch, die angegriffene bolivianische Bevölkerung zu schützen und manchmal scheint es, als ob die sozialen Bewegungen, anstelle von RegierungsvertreterInnen, an die Front geschickt würden, um sich mit ihren Widersachern zu konfrontieren. Was steckt hinter dieser Haltung der Regierung? Ist es ihre Ohnmacht und ihr Wissen, dass die Justiz (und möglicherweise die Polizei und das Militär) nicht hinter ihr steht? Ist es eine Strategie, sich bzw. die eigene Basis solange in die Opferrolle zu begeben, bis sich die Angreifer selbst delegitimieren? Oder gibt es bereits Pläne, härter durchzugreifen?

Auch andere Fragen bleiben offen, wie zum Beispiel: Was ist die Rolle der USA bei den bolivianischen Konflikten? Deren Botschafter wurde von der bolivianischen Regierung aus dem Land verwiesen, da ihm vorgeworfen wurde, die Opposition zu unterstützen und gegen die Regierung zu arbeiten. Ähnliche Vorwürfe wurden bereits gegenüber der US-amerikanischen Entwicklungshilfeorganisation US-AID laut. Aber was steckt tatsächlich hinter diesen Vorwürfen und was ist das Ziel der mächtigen Gruppen aus dem Tiefland Boliviens? Geht es darum, die Regierung von Evo Morales zu schwächen, um bessere Ausgangsbedingungen für eigene Anliegen zu haben und Reformen zu verhindern? Geht es darum, die Regierung zu stürzen, und die nationale politische Macht zu erlangen (danach schaut es derzeit eher nicht aus, da die Projekte der Departamentos lediglich regionale Interessen vertreten)? Oder geht es um eine Abspaltung der Tiefland-Departamentos, in denen sich der Großteil der Erdgasressourcen Boliviens befindet?

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